Ich bin wach, bin in der Welt

I.
Da ist kein Bruch. Ich meine, da sitze ich an meinem Schreibtisch, mit Blick auf die Terrasse, auf Herbstlaub und Zweige im Novemberwind, rot ranken / ästeln sich Weinreben (wie leergefegt) die Stahlträger hinauf / entlang, vor mir mein Laptop, darin geöffnet Tabs über Louise Glück (aber auch, aber vor allem Joan Baez, Well I’ll be damned / here comes your ghost again, und ich schweife ab, schweife zurück, Esalen, 3. Oktober 2012, zu unseren Füßen der Pazifik und Kormorane über uns) und vor mir ihre Gedichte (I’m awake, I am in the world / I expect / no further assurance / No protection, no promise), schön, denke ich, und poetisch, denke ich, aber (und doch) da ist kein Bruch.
Da ist keine Lücke, kein Spalt. Ich meine, da sitze ich an meinem Schreibtisch, draußen der Herbstregen (shaking the white lilies, weißt du noch, diese Liliennächte, Hollundernächte als der Mond), Regentropfen perlen / tanzen / zucken die Scheibe hinab, vor mir mein Laptop, darin geöffnet Tabs über Louise Glück (im Hintergrund Jona Baez, But that’s not unusual / it’s just that the moon is full / and you happended to call) und vor mir ihre Gedichte (I’m awake / I am safe / The darkness like a shield), so zart, denke ich, so melancholisch, denke ich auch, und doch (und doch) da ist keine Lücke, kein Spalt (that’s how the light comes in), keine Lücke, kein Spalt.
Da ist keine Störung. Ich meine, da sitze ich an meinem Schreibtisch, die Terrasse im Dunkeln (ich aber weiß, dass sie ist), im Fenster mein Gesicht, müde und unrasiert, wieso, sagtest du, ich mich nicht liebte, sondern schnitt (shaving like a blind), erinnere ich mich (oder bilde ich mir das ein / glaube ich mich zu erinnern, diamonds and rust), in der Hand eine Füllfeder, vor mir mein Laptop, darin geöffnet Tabs über Louise Glück und neben mir ihre Verse (I think you let me stare / so you can turn against yourself / with greater violence / needing to show me, how you scrape the flesh away), so traurig, denke ich, und so poetisch, denke ich auch, und doch, da ist keine Störung (oder bilde ich mir das ein, oder leg ich mir das zurecht?).
Da ist kein                       
Stocken, ich meine, da sitze ich an meinem Schreibtisch, vereinzelt Lichter im Haus gegenüber, vereinzelt Sterne (aber ob ich die sehe?), solace of the night sky, the hardly moving face of the clock, in meiner Hand der Bleistift, in meiner Hand die Füllfeder und vor mir ein Block, leer das Blatt, platt das Bild, aber doch, aber doch, vom Bildschirm des Laptops starrt Louise Glück mir entgegen (oder mach‘ ich sie starren) oder singt Joan Baez (as I remember your eyes / bluer than robin’s eggs / my poetry was lousy you said / where are you calling from) und neben mir ihre Texte (I have a bed, a room / I have a bed, a vase / of flowers beside it / And a nightlight, a book) so reduziert, denke ich, und so melodiös, denke ich auch, und doch, nichts / stockt (denke an Paul Celan, an Virginia Woolf).

II.
Ich bin wach, bin in der Welt, schreibst Du, bin in der Welt, denke ich, wenn du neben mir, nachts und / oder am Morgen, die Züge deines Atems / deines Gesichts lassen mich, für einen Moment, wie jener, als das Lokal um uns zerfiel zu Staub (als unser erster Augen / Blick / Kontakt)…

III.
Ich habe, sagst Du, alle Reichtümer der Welt, ein Bett, ein Zimmer (und ich zwing mich nicht (oder zwinge mich, nicht) an Virginia Woolf zu denken) und eine Vase mit Blumen, ein Nachtlicht, ein Buch, und doch, und du stockst…

IV.
There is no better / Only (for a short space) / the night sky like / a quarantine that sets you / apart from your task, zitierst du Louise Glück und wird schon nix gutes sein / wenn man das beste / daraus machen muss, antworte ich  mit Elfriede Gerstl und wir sehen uns an und lachen und du fährst lächelnd fort, wie Worte uns auseinanderdriften (aber das hat, denke ich, ein anderes Selbst schon einmal, schon woanders, schon passender geschrieben…).

V.
In my life, I was trying to be a witness, not a theorist, zitierst du Louise Glück, in meinem Leben habe ich versucht, Zeugin, nicht Theoretikerin zu sein (das Geschlecht dir von mir zu-, dir vorgeschrieben), du aber hättest, fährst du fort, zuerst terrorist nicht theorist gelesen, dir dann aber gedacht, dass sich beide als Feindbilder gut eigneten (und ich weiß nicht, ob man dass so sagen darf, weiß aber, dass man das so sagen kann und murmle eine Zustimmung), aber, fährst du fort, dass sei nicht der Punkt, dieser sei doch vielmehr, wie man darauf stolz sein könne nicht theoretisch zu sein, nein, mehr noch, wie man überhaupt untheoretisch schreiben könne, denken könne, wahrnehmen könne (und du sprichst dich in Rage), aber, werfe ich ein, verwechselst du hier nicht das lyrische mit dem Ich der Autorin, und lache, aber was, darauf du, ist dann mit uns?

aus: Buchas Gerald / Streibel Robert (Hgs.): Lesen wir Louise Glück. Wien: Löcker, S. 72-78.

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Schneller, höher und so weiter

Fakten, Fanwissen, Fiktionen zu den Olympischen Sommerspielen 2021

Sommerolympiaden sind ein Fest der Vielfalt und Abwechslung – ideal, um viele Stunden vor dem Bildschirm zu verbringen: vom Schlagabtausch beim Boxen zum musikbegleiteten Dressurreiten, vom nach Knochenbruch schreienden Mountainbike zum gnadenlos schönen Badminton. Ein Nachmittag im Leichtathletikstadion ist ein eigenes Kapitel: vom umwerfenden Kugelstoßen zum faszinierenden Hochsprung, von der Langstrecke zum Sprint und so weiter.

Die beiden sportbegeisterten, durchaus auch Sport treibenden Autoren Peter Clar (mehr) und Markus Köhle (etwas weniger) folgen dieser Lust zur Abwechslung – der lexikalischen Vorgabe des Alphabets folgend werden alle in Tokio zur Austragung kommenden 33 Sportarten aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchtet:
* der Dreisprung etwa aus der sehr persönlichen Erinnerung, wie man seinerzeit über zwei Steine im Fluss zur Geliebten auf der anderen Seite gelangte;
* das Turnen auf Reck, Seitpferd und Ringen, das einem fassungslose Begeisterung abverlangt, wie scheinbar mühelos man sich auf Turngeräten bewegen kann, die für Normalsterbliche bestenfalls als Foltergeräte taugen können;
* andererseits Sportarten wie Synchronschwimmen, die einer unfreiwilligen Komik nicht entbehren und denen man nur mit einiger Ironie gegenübertreten kann;
* oder aber der 200-Meter-Lauf, der zu einem historischen Rückblick Anlass gibt: 1968 in Mexico City wurde die Siegerehrung zum revolutionären Statement von den US-amerikanischen Gold- und Silbermedaillengewinnern, als sie sich mit schwarz belederhandschuhter und zur Faust geballter Hand mit der Black-Power-Bewegung solidarisierten (im Jahr, in dem Martin Luther King ermordet wurde, eine mehr als heldenhafte Ansage).

Stimmen
»Die beiden Literaturwissenschafter wagen den Spagat auf dem Schwebebalken. Einerseits humorige Einlagen – etwa die Sportfilmempfehlung Herr der Ringe –, andererseits wortgewaltig verpackte, geballte Infos, mit denen der Laie angeben kann. Der Spagat gelingt meistens, auch weil Clar und Köhle ihre Grenzen kennen.« (Andreas Gstaltmeyr, Der Standard, 23. Juli 2021)
»Die beiden Autoren und Poetry Slammer Peter Clar und Markus Köhle haben ›Fakten, Fanwissen und Fiktionen‹ zu allen Disziplinen der Olympischen Sommerspiele zusammengetragen und liefern damit die unterhaltsamste und kompletteste Vorschau auf Tokio 2020 ab.«, »Eine amüsantere Einstimmung auf die Olympischen Sommerspiele 2021 als ›Schneller, höher und so weiter‹ gibt’s wohl nicht – und ein bisschen schluaer wird man dadurch auch.« (Simon Welebil, FM4,16. Juli 2021)