Alles was der Fall ist

Zeit steht nicht. Und auch kein Fluss. Und eine Sekunde ist wie die andere ist wie die andere, und eine für nachher und eine für vorher und eine für mittendrinn. Mittendrinnen in dieser Geschichte steht X. Und mittendrinnen steht Y und stehe ich, und nun auch Sie, aber auch erst am Anfang.
Zeit steht nie und auch kein Fluss und die Vöglein schweigen nicht, im Walde nicht und auch sonst nirgendwo, zumindest nicht wenn einer fällt und aufschlägt, weil einer niedergeht wie Niederschlag, weil einer vom Kirchturm springt oder von einer Brücke, oder gestoßen wird oder einfach nur fällt, fällt auf, dass hier keine genaue Information gegeben wird, geben Sie zu, Sie glauben noch immer an die Gedanken, Worte und Werke, lernen Sie Literaturgeschichte, lesen Sie den toten Autor, ich meine, tote Autoren, oder auch anderes. Anderes geschieht nie, also anders wird nichts nur weil einer heim kommt und alle sind tot, die Buben im Zimmer, die Frau in der Speisekammer, die Tochter daneben, man steht auf und putzt sich die Zähne und kämmt sich die Haare und spaziert ins Büro und ein Fluss fließt und ein Vogel singt, ein Spatz oder eine Krähe.
Außergewöhnliches passiert nie, ob nun einer springt oder sich zwei aufhängen oder irgendwo ein Mensch explodiert oder ein Zug zerplatzt oder was, oder wie auch immer, schlimmer vielleicht noch, ein Wirbelsturm und nichts geht mehr, oder ein Meer über seine Ufer, ufert aus und auslöscht es den einen oder anderen Menschen, aber die vergisst man und Zeitung lesend blickt man auf, angenehm erschrocken und vergewissert sich seiner selbst, mit einem Blick nach draußen, die Drau aber fließt ruhig weiter und ein Schwan landet und ein anderer startet laut schreiend als wäre nichts geschehen, weil nichts geschehen, eine Sekunde kommt und eine geht und eine ist und dann die nächste und dann die nächste.
Zeit steht nie und darum auch nicht, als Y seine Arme ausbreitet und springt, als Y seine Arme zur Abwehr nach vorne streckt und trotzdem gestoßen wird, als der arme Y einfach nur gefällt wird, nein, fällt, und auch nicht von einer Kirche, sondern Haus oder Brücke, Baum oder Berg, aber nicht Moschee, weil die sind verboten, wo käme man da hin, sprengte sich einer, ich meine, spränge einer nichtchristlich in den Tod, spränge einer im Unglauben.
Glauben Sie nicht, ich möchte hier politisch werden, nichts läge mir ferner, nichts anderes möchte ich tun, als Ihnen eine Geschichte zu erzählen, als die Geschichte von X und Y zu erzählen, zählen Sie, hoffe ich, nicht zu jenen Zusehern, Zuhörern oder Zulesern die sich ablesen aus meiner, nein!, sich abwenden von meiner Geschichte, der Geschichte von X und Y meine ich, meine ist es ja nicht, nicht von mir und nicht über mich und mich nicht im geringsten betreffend, nur weil ich hie und da abschweife, treffen Sie Ihre Entscheidungen selbst.
Haben Sie den Satz beim zweiten Mal Lesen verstanden, gut, dann fahre ich nun fort, denn die Zeit drängt, still steht sie nie und stand sie auch nicht als Y sprang oder fiel oder gestoßen wurde und aufprallte und zerbrochen Arme und Beine, Nase und Stirn, ein Rinnsal Blut aus Ohren und Mund und so weiter.
Zeit steht nie und so auch nicht, während ich Ihnen X beschreibe, der sich jener Stelle nähert wo Y niedergegangen war, herabgestiegen zu den Toten, wo ein paar Blumen und ein paar Kerzen und ein bereits vergilbendes Photo stehen. Einigen wir uns auf Kirchenvorplatz, einigen wir uns auf Kopfsteinpflaster, einigen wir uns auf ein vergilbtes Photo und 3, nein 4 rote Kerzen, mit goldenen Deckeln und einen verwelkten Strauß roter Nelken und ein paar weiße, gelbe und rote Rosen und schon haben wir das Kommen versäumt und X kniet bereits vor dem Photo und wir sehen in seiner linken Hand eine Kerze und aufflammt ein Zündholz und bekreuzigt sich X obwohl nicht gläubig, und ungläubig hört er ein Flüstern neben sich, das sagt, es war Mord. Und dreht er sich zur Seite und sieht er eine Frau, die niederlegt eine Gerbera sich bekreuzigt und geht, und ihm ein Gedanke nicht mehr aus dem Kopf und beginnt die Geschichte, also jetzt aber richtig.

Richtig verunsichert ist X, angesichts der es war Mord flüsternden Frauenstimme, und als die Frau zur Stimme sich umdreht und geht ohne weiteres zu sagen, sagt er sich einerseits, dass sie mit sich gesprochen und andererseits aber warum dann laut, wenn ich doch daneben und außerdem egal ob an mich oder zu sich, warum Mord. Und steht er also still und nachdenklich vor den Kerzen und den Blumen und dem Bild und also auf dem Platz, auf dem vor einem Jahr sich zeichnete ein Körperumriss aus Kreideweiß und dunkle Flecken auf Kopfsteinpflaster und blau blitzendes Licht auf Häuser und zur Seite geschoben Vorhänge und geöffnet Fenster und geschlossen über Y ein Schwarz.
Geschlossen auch der Akt wenig später, keine Anhaltspunkte für fremdes Verschulden, kein Hinweis auf die Schuld von Fremden, die zwar immer an allem, aber, Ausnahme, die die Regel bestätigt, betätige ich mich wieder als Kommentator, verzeiht, nicht an diesem schuld, also niemand stieß und niemand warf und niemand wird geworfen außer in dieses Leben Y und aus diesem Leben vom Kirchturm herunter Y. Halt!, ein Unfall auch möglich, obwohl es schon Nacht und es dunkelte und ruhig floss die Drau, als Ys Körper aufprallte, als Arme und Beine brachen und eine Stirn und zwei Augen, als wäre das egal, und ist es auch, Zeit steht nie, die Jungen werden alt und die Alten sterben und dort und da stirbt ein Junge, aber das ist egal, und ein Mädchen auch, aber die sind noch egaler, jetzt höre ich aber endlich auf mit solchen Bemerkungen.
Was bleibt ist dieses: Nichts. Aber: Was bleibt von dem bisher Gewesenen ist dieses: Nichts. Formuliere ich meine Frage also anders, wertes Gericht, umformuliere ich meine Frage also, eine Zusammenfassung des bisher gewesenen, des bisher in dieser Geschichte erzählten gebend, formuliere ich: gewesen, wie Y gewesen, jetzt verwesend, forme ich: Geschichte, wie geschichtet sein Körper über den bereits körperlosen Vorgängern, Wiedergänger die sie nicht sind, die sie nicht sein werden, es sei denn ich schriebe die Enkelkinder der Toten, das war jetzt plump, das werden wir noch sehen, Gegenteiliges ersehnend, ersehe ich kein Licht am Ende des Tunnels Text, noch stehe ich am Anfang, und vor diesem das Ende von Y. Fasse ich mich also kurz und zusammen: X vor jenen Blumen, Kerzen, Bild, welche den Platz schmücken auf den Y’s Körper aufgeprallt, und ist da eine Frau die flüstert, dass es war Mord, und dann verschwindet.

Verschwinden die Gedanken nicht, während er nach Hause spaziert, nicht, während er die Post aus dem Postkasten holt, die Werbung gleich wegwirft, die Rechnungen öffnet, überfliegt und auf seinen Schreibtisch legt, nicht, während er sich hinsetzt und The Malteser Falcon aufschlägt, sind sie mal stärker, dann wieder, aber verschwinden nie ganz, aufmerksam folgt er den Worten der Frau und darum unaufmerksam liest er sein Buch, muss fast jeden Absatz wiederholen, und wieder und wieder liest er, und wieder und wieder seine Gedanken zurück zur Frau und dann zu Y und verärgert schließlich schließt er das Buch und geht zu seiner Bar, um sich einen Whiskey einzuschenken, setzt sich auf den Balkon seiner kleinen Wohnung und blickt auf den See oder die Straße oder die Berge, oder auf den See und die Straße und die Berge und denkt nicht, aber auch nicht Nichts, zeigt die Standuhr im Wohnzimmer Viertel nach sieben.
Nächste Szene, erste Einstellung: Die Uhr, Zeit: Viertel nach zehn und X sitzt immer noch und blickt ins Dunkel und sein Glas ist wieder voll und vor ihm eine Schachtel mit Photographien, die, indem sie vergangene Menschen zeigen, den jeeigenen Tod in die Zukunft setzen, wie ich dieses Zitat in den Text, aber verdreht, wie Füße und Beine und Kopf, also googeln Sie es gleich gar nicht! Viertel nach zehn, Bilder aus jenen Tagen als X und Y noch unzertrennlich vor X auf den Tisch und in seinem Inneren und ein Glas voll Whiskey in der Hand und ein Kopf voller Gedanken.
Noch ist in ihm kein Entschluss gereift, noch immer sind wir nicht ganz in der Geschichte, in die wir aber bald eindringen werden, werden Sie schon sehen, sehen Sie, erst muss man Figuren zeichnen, und Umrisse einer Geschichte, um diese dann mit Inhalt zu füllen, mit Leben zu erfüllen, damit Sie dann fühlen, Vorspiel sozusagen, können Sie mir folgen? Dann folgern Sie nicht voreilig, ziehen Sie keine voreiligen Schlüsse, schließen Sie dieses Buch nicht wie die Polizei den Fall Y vorzeitig, sondern verweilen Sie einen Augenblick, der ist so schön! Schön langsam nämlich scheint sich X zu entscheiden, seinen Whiskey austrinkend geht er in sein Zimmer, zieht sich aus und legt sich ins Bett, aber er schläft nicht ein, ein Es war Mord in seinem Kopf  klingt wie ein Satz aus einem Buch, im Kopf sich hin- und herwälzend der Gedanke, im Bett sich X, und dämmert der Morgen, als seine Entscheidung gefallen was zu tun und er in einen traumlosen Schlaf.

Entscheidungen zu fällen ist das eine, einen Baum etwas anderes, also was ich sagen will, ist dies: X weiß was er tun will, aber tun tut er es nicht. Nicht schön der Satz, aber so unglaublich wahr, wie nur ein Satz wahr sein kann, ich meine, so unglaublich wahr, wie weit wahr ein Satz überhaupt sein kann. Ist eine Entscheidung getroffen heißt das noch lange nicht, dass die durch die Entscheidung beschlossene Tat auch getätigt wird.
Wird Ihnen das Ganze unverständlich? Ständiges Gerede über die Tat, und Gedanken über Worte und Werke, über Mord und Geschichten aber nichts Konkretes.
Komme ich also zu einem Punkt von vielen: X ist kein Detektiv. X ist auch kein Held. Aber die meisten Helden sind solche erst nach ihren Heldentoten, Heldentaten meine ich, bleibt diese Rolle also durchaus noch eine Option für X, wenn auch wenig wahrscheinlich. Egal. X ist weder jung noch alt, weder dick noch dünn, seine Haare nussbraun mit Naturwelle, seine Stirn schmal und nachdenklich, seine Augen gelblich, seine Hände gepflegt. Oder ist X ganz anders, ist er in jedem Fall einfach nur Durchschnitt: Ziemlich intelligent, aber kein Genie, ganz gut aussehend, aber kein Apoll, warmherzig aber keine Mutter Teresa und so weiter und so fort. Was fort ist, bleibt, und Ihnen der Eindruck, dass dies nicht alles gewesen sein kann, weil es immer das Wesen eines Protagonisten einer Geschichte ist, mehr oder anders oder besonders zu sein.
Trotzdem hat X sich vorgenommen zum Fall Y noch ein paar Fragen zu stellen. Fragen Sie mich nicht wieso. So ist es nun einmal. Da verwählt sich einer und verlangt einen Detektiv, aber spricht mit einem Schriftsteller. Und meldet sich erneut, und meldet sich erneut und irgendwann macht sich der Schriftsteller zum Detektiv. Oder: Ein Bub lebt unter einer Treppe und ist doch der größte Zauberer aller Zeiten. Oder: Ein Multimilliardär aus dem Musikbusiness möchte ein Kind bleiben, baut er sich also eine Uhr, deren Zeit steht. Zeitweise passieren solche Dinge nun einmal. Aber nicht nur ein Mal, sondern oft. Und also auch hier ist die Möglichkeit vorhanden. Da ist X ein ganz gewöhnlicher Mensch. Und plötzlich steht er mittendrinnen in dieser Geschichte, ganz ohne sein Zutun. Wie Menschen ins Leben treten, ins Leben getreten werden ohne ihr Wollen und willenlos abtreten, tritt X in diese Geschichte und ich in ein fettes Näpfchen nach dem anderen, jeder Schritt ein Pathos. Tritt X also in diese Geschichte oder, besser noch, diese Geschichte in Xs Leben. In einer Sekunde ist er noch nichts und in der dritten ist alles vorbei, aber dazwischen gibt es immer noch die zweite.

X steht nun auf in der Früh und weiß, dass er etwas unternehmen will. Was, weiß er aber nicht, nicht Anfang weiß er noch Ende. Enden seine Ambitionen also schon ehe sie begonnen? Beginnen wir bei Tagesanbruch. Da schläft X noch. Ein weiterer Versuch also, ein paar Stunden später. Da wacht X auf, steht auf, dreht auf die Dusche. Wasser fällt, wie ein Körper fiel, und prallt auf Kopf, zerplatzen Tropfen auf Schultern, auf dem erigierten Penis, mit geschlossenen Augen steht X da, ein Satz in seinem Kopf und ein Bild, aber keines von Y, warum auch, es war einmal ein Freund und der wurde zum Bekannten und schließlich verschwand er ganz, bis Arme und Beine, Kopf und Körper undsoweiter zerbrachen und sein Umriss auf den Pflasterköpfen des Steinbodens gekreidekreist wurde, bis sein Bild, Beweis seiner Sterblichkeit, aus allen Zeitungen blickte. Und damit begann erneut zu verblassen Ys Sein für X, Ys Bild für X, und ab und zu zuhörte er den Kirchenglocken des Sprungturmes, ab und an ansah er das immer blasser werdende Photo, auf stellte er manchmal eine Kerze oder legte nieder eine Blume, bekreuzigend sich aus Kindheitstagenerinnerung, beim Vorbeigehen am Fallpunkt, Kreidekreis, aus welchem Grund auch immer zuerst, später aus Gewohnheit.

Gewohnt ist X, dass er entscheidet und danach handelt. Gewohnt ist X, dass er beim Schlafengehen weiß, was am nächsten Tag zu tun und während des Tagestuns, was am Abend zu machen. Und macht manchmal Pläne fürs Wochenende. Und endet die Woche dann, weiß er wieder, was zukommt auf ihn. Und so weiter. Weiter denkt er immer, aber denkt er nie so viel, dass es ihn traurig macht. Macht sich Gedanken bis zu einem Punkt, aber nie darüber hinaus. Hinaus gehen nur die Großen, und Großes gibt es nicht mehr obwohl die Bäume hoch sind, sagt er sich, wir wissen es besser, oder hoffen darauf, sonst läsen wir nicht diese Geschichte, weil Großes immer nur in Geschichten geschieht, wissen wir, oder glauben wir, aber Recht haben wir nicht, und wundert sich, ob das in anderen Zeiten anders war, aber Anderes ist nie, immerzu Gleiches, gleich wird er traurig, also Schluss mit diesen Gedanken, danke. Gehen sie halt in eine andere Richtung, und richte nun auch ich mich neu aus, indem ich mich zurückwende. Wende ich mich dem Anfang des Absatzes zu, in dem stand: Gewohnt ist X, dass er entscheidet und handelt.
Handelt dieser Absatz also von Gewohntem, das, so hört man unweigerlich heraus, zwar immer noch gewohnt, der Handlung aber entwöhnt ist. Ist ihnen das klar gewesen? Weiß ich doch! Aber trotzdem wollte ich mich einmal wiederholen, es holt mich ja sonst keiner wieder zurück, wenn ich zu weit gegangen, überholen mich höchstens die Meisten. Egal.
Egal was X gewohnt, er ist erschüttert. Schüttete Y sein Leben vom Kirchturm der Stadt, statt langsam zu verdunsten. Schön und gut, ist ja seine Sache, aber der Sachverhalt ist ja plötzlich ein anderer, heißt es da auf einmal, dass sein Leben verschüttet wurde und das wäre Mord. Der Tod an sich interessiert X kaum. Also sein Tod nicht und alle anderen Tode auch nicht und Ys Tod ebenfalls nicht. Geht es ihn auch nichts an. Wird er sich darum einmischen, interessiert ihn ein Mord dann doch. Warum ihn das interessiert? Fragen Sie bloß nicht mich, das poetische Wiesel, vielleicht – nein, ohne Komma nach dem Wiesel, also nochmal – fragen Sie bloß nicht mich, das poetische Wiesel vielleicht, oder X selbst, aber nicht mich, der ich doch nicht real sondern bloß Autor und Erzähler bin oder eines oder keines von beiden.

Nicht wahr, die Geschichte beginnt Fahrt auf zu nehmen. Nehmen Sie sich aber nicht zuviel vor, ich meine, erwarten Sie nicht zu viel, ich nehme nämlich nun das Tempo zurück. Und meine Aussagen revidiere ich auch etwas. Etwa das Wort „erschüttert“. Erschüttert ist X keineswegs, noch nicht zumindest, ein bisschen durchgeschüttelt vielleicht, ein bisschen verrückt seine Gewohnheiten. Aber die Wohneinheit ist immer noch die Gleiche, und die Gewohnheit bleibt, nicht obwohl, sondern weil die Geschehnisse von ihr abweichen, um die Regel zu bestätigen. Bestätigt also Y sich so wie wir es von ihm gewohnt wären, kennten wir ihn. Was wir aber nicht tun. Sie vielleicht noch weniger als ich. Ich aber behaupte, dass X sich nicht ganz rund fühlt, sich ein wenig verdreht fühlt, sich ein bisschen ungewohnt fühlt, was aber die Gewohnheit impliziert. Aber ist meine Behauptung überhaupt richtig? Sie ist! Lesen Sie doch einfach weiter und somit nach: Denkt bei sich nämlich X: „Irgendwas ist anders. Als sei ich mir nicht ganz rund, als sei ich ein bisschen verdreht, als sei ich mir ein bisschen ungewohnt.“ Sehen Sie! Dies ist der Beweis, weise ich Sie am Rande auch gleich darauf hin, dass ich weisungsbefugt bin was die Gedanken, Worte und Werke aller in meiner Geschichte vorkommenden Personen betrifft. Trifft aber dann nicht zu, wenn die Sprache etwas anderes aussagt als ich mit ihr Euch hineinsage. Aber sagen wir mal so: Das geht Euch nichts an. Macht Euch also keine Gedanken.
Als Gedankenbild steigt die Frau vor X auf. Und mit ihr ein Satz. Y ist immer noch im Hintergrund, Grund gibt es für X auch nicht, all zu viel an ihn zu denken. Dachten sie damals manchmal, sie seien einander Brüder. Später aber einander fremd und  immer fremder bis zum Schluss. Klingt tragisch, ist es aber nur insoweit, als es ein Sinnbild ist. Sie selbst entscheiden wofür, damit nicht alle Arbeit ich erledigen muss. Entscheidende Hinweise könnten sein: Vergehen, Verschwinden, Verwesen. Oder auch ohne V. Bin ja nicht Pynchon. Bleibt die Interpretation also Ihnen überlassen, mehr aber auch nicht, denn ich lasse Sie sicher  nicht in die Geschichte eingreifen. Das begreifen Sie wohl nie, oder? Das bringe ich Ihnen schon noch bei! Beiläufig. Oder offensichtlich. Oder gar nicht.
Einfach gesagt: X und Y entfernten sich voneinander, Y sich schließlich aus dem Leben. Und nun wieder näher kommt, vermittels einer Frau, die vielleicht nicht weiß was sie sagt. Die vielleicht gar nicht ist. Die vielleicht nur eine Erfindung von mir ist. Oder ein Trugbild. Ist sich X jetzt nicht mehr sicher, ob sie war. Wahrscheinlich ist das nicht. Wahrnehmung hat ihn aber noch nie betrogen, glaubt er zumindest, die ist ja schließlich die seine, und nichts als die eigene. Das sie es getan haben könnte, ist jenseits seines Denkmöglichen. Punkt.

aus: Alles was der Fall ist. Wien: Sonderzahl 2011, S. 5-16.

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Schneller, höher und so weiter

Fakten, Fanwissen, Fiktionen zu den Olympischen Sommerspielen 2021

Sommerolympiaden sind ein Fest der Vielfalt und Abwechslung – ideal, um viele Stunden vor dem Bildschirm zu verbringen: vom Schlagabtausch beim Boxen zum musikbegleiteten Dressurreiten, vom nach Knochenbruch schreienden Mountainbike zum gnadenlos schönen Badminton. Ein Nachmittag im Leichtathletikstadion ist ein eigenes Kapitel: vom umwerfenden Kugelstoßen zum faszinierenden Hochsprung, von der Langstrecke zum Sprint und so weiter.

Die beiden sportbegeisterten, durchaus auch Sport treibenden Autoren Peter Clar (mehr) und Markus Köhle (etwas weniger) folgen dieser Lust zur Abwechslung – der lexikalischen Vorgabe des Alphabets folgend werden alle in Tokio zur Austragung kommenden 33 Sportarten aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln beleuchtet:
* der Dreisprung etwa aus der sehr persönlichen Erinnerung, wie man seinerzeit über zwei Steine im Fluss zur Geliebten auf der anderen Seite gelangte;
* das Turnen auf Reck, Seitpferd und Ringen, das einem fassungslose Begeisterung abverlangt, wie scheinbar mühelos man sich auf Turngeräten bewegen kann, die für Normalsterbliche bestenfalls als Foltergeräte taugen können;
* andererseits Sportarten wie Synchronschwimmen, die einer unfreiwilligen Komik nicht entbehren und denen man nur mit einiger Ironie gegenübertreten kann;
* oder aber der 200-Meter-Lauf, der zu einem historischen Rückblick Anlass gibt: 1968 in Mexico City wurde die Siegerehrung zum revolutionären Statement von den US-amerikanischen Gold- und Silbermedaillengewinnern, als sie sich mit schwarz belederhandschuhter und zur Faust geballter Hand mit der Black-Power-Bewegung solidarisierten (im Jahr, in dem Martin Luther King ermordet wurde, eine mehr als heldenhafte Ansage).

Stimmen
»Die beiden Literaturwissenschafter wagen den Spagat auf dem Schwebebalken. Einerseits humorige Einlagen – etwa die Sportfilmempfehlung Herr der Ringe –, andererseits wortgewaltig verpackte, geballte Infos, mit denen der Laie angeben kann. Der Spagat gelingt meistens, auch weil Clar und Köhle ihre Grenzen kennen.« (Andreas Gstaltmeyr, Der Standard, 23. Juli 2021)
»Die beiden Autoren und Poetry Slammer Peter Clar und Markus Köhle haben ›Fakten, Fanwissen und Fiktionen‹ zu allen Disziplinen der Olympischen Sommerspiele zusammengetragen und liefern damit die unterhaltsamste und kompletteste Vorschau auf Tokio 2020 ab.«, »Eine amüsantere Einstimmung auf die Olympischen Sommerspiele 2021 als ›Schneller, höher und so weiter‹ gibt’s wohl nicht – und ein bisschen schluaer wird man dadurch auch.« (Simon Welebil, FM4,16. Juli 2021)