Nehmen Sie mich beim Wort

Blitzen Erinnerungen auf und stürzen Lebenswelten ein, schon zitiert, bitte!, danke, Diotavelli der ich bin, Gott Vater, Gott Sohn, Gott Heiliger Geist. Geistlos, nein, geschichtslos, geschichtelos fügen sich meine Worte, unsere Worte, die am Anfang waren oder das, was auch immer, füge leere Zeichen, bedeutungsleere Zeichen zu Bedeutungslosigkeiten, jetzt bin ich wieder dort wo ich hin wollte, wo mich die Worte hinzwingen, dabei wollte ich sie doch zu einer Geschichte zwingen, zwanghaft in Reihen ordnen um etwas zu erzählen, um etwas auszudrücken, mitzuteilen, teilhaftig, leibhaftig euch werden zu lassen am Schicksal des X oder der Y oder der X oder der Y oder was oder wen oder wie auch immer.
Doch was interessiert mich das Geschwätz von heute, von Leuten, meine ich, was interessiert mich, ob X verliebt und Y verlobt und Z verheiratet und Zunge zeigen tut man nicht, denn es neckt sich was sich liebt, das ist eine zehn-, eine hundert-, eine tausendfach bewiesene, erwiesene, ausgewiesene Wald- und Wiesenwahrheit, Wiesengrund, Grundübereinstimmung, Volksweisheit, meine ich, denn das Maul spricht und die Politiker hauen, nein, schauen drauf und erst recht die Priester und Diakone und all jene die im Dienste der Kirche, also da kann ja nichts Gescheites dabei rauskommen, bei diesem, na, nennen wir ihn, sagen wir einmal: Text.

Also da liebt X die Y, und er geht durch die Straßen, regennass und traurig, an der Ecke steht ein Bettler, sitzend auf seinen Stock gelehnt, die Hand ausgestreckt zur Kommunion, sein täglich Brot gib uns heute, Betteln und Hausieren verboten, denkt dazu ihre soziale Heimatpartei, -partie, drei Bier! her, und ihre Wiener Linien. Schweife ich schon wieder ab, ich will doch nur spielen, ich meine, erzählen, eine Geschichte, eine traurige Geschichte, ein wahrer Musterknabe war der Eberhard, von Schwiegermutterart, aber er liebte, also ich mache es kürzer, als ihr Euch vorstellen könnt, und stelle ihn vor, aber nicht jetzt.

Weiter im Text, also in der Geschichte, da haben wir also X und der liebt Y, also das ist schon ironisch, dass X ein Mann und Y eine Frau, wo doch das Y mit dem X erst ein Mann, das reine X aber eine Frau und dreimal das X die Bestimmung derselben, aber es ist nun mal so: Mann und Frau, Weiß und Schwarz, Gut und Böse, Gott und Teufel, das Bessere kommt immer zuerst, deshalb heißt ja der Beste auch Erster, weil er als Erster ins Ziel kommt und der Zweite ist im Grunde der erste Verlierer und die Erste auch, also darum X und Y oder Geld oder Leben.

Lebenswelten stürzen ein für X, als er erfährt, dass Y nicht so will, wie er gerne wollte, also weil sie nicht so verliebt ist, wie sie sein sollte, wenn sie gescheit wäre, gescheiterte Existenz die er hätte retten können, aber sie will sich nicht helfen und schon gar nicht ficken lassen, also dann schon lieber ficken, finden Sie nicht auch? Nein, das wollte ich jetzt nicht, nicht schreiben, meine ich, ficken schon, aber egal, also ich wollte X jetzt nicht so runter machen, ich kenne ihn ja gar nicht richtig, auch wenn Sie das vielleicht annehmen, ich kenne ihn nicht, weil er nicht interessiert, weil er mich nicht interessiert, auch wenn er mein Geschöpf sein soll, aber vom Schöpfungsakt erschöpft suche ich Atem zu schöpfen und lasse mich da nicht auf mein Wesen reduzieren, kann mich nicht auf mein Wesen konzentrieren, wo ich doch nicht einmal mich auf mein Wesen zu konzentrieren in der Lage bin, das würden Sie mittlerweile doch wissen, kümmerten Sie sich um mich, aber das tun Sie ja nicht. Bin ich denn unter Ihrer Würde?

Jetzt sitze ich also vor meinem Block, Blöcken, und soll jemandes Geschichte schreiben, den ich gar nicht kenne, nicht kennen will und nie kennenlernen wollte, der sich mir aufdrängt, in mein Schreiben sich hineindrängt, weil ja alle Geschichten hören wollen, weil ja alle Schicksale erleben wollen, weil ja alle das Leben toben lesen wollen, als gäbe es nichts Interessanteres als dem Verlierer und Menschen X zuzusehen, wie er die verregnete Straße traurig hinabgeht, oder die verregnete, traurige Straße hinabgeht oder wie auch immer, nur schlimmer.

X also spaziert die Hütteldorferstraße entlang, es ist, sagen wir mal, so zwölf Uhr, es hat geregnet in der Nacht und auch noch ein bisschen in der Früh und alles ist nass, aber es ist zu kühl, als dass sich einer dieser Sommerregengerüche entwickeln könnte, also Sommer ist es, da haben wirs!, schon wieder eine Information, natürlich könnte es auch Frühling oder Herbst sein, die Hütteldorferstraße entlang spazierend, kommt er am Solarium vorbei, an der Pornovideothek, der Bücherei, an Kleinglücksspiellokalen, einem Hotel, einem Kleidergeschäft (aber das wird aufgelassen, suchen Sie es also nicht!), einem Lebensmittelgeschäft, einem Fahrzeugzubehörgeschäft, an dem ersten Puff, schöne, große, schlanke Mädchen stehen in der Nacht immer davor, die hässlicheren, dicken und billigeren folgen dann stadtauswärts, aber X geht stadteinwärts, also Richtung Gürtel, den er enger wird schnallen müssen, will er sich eines jener schönen Mädchen leisten, also das war jetzt wirklich nur wegen des Wortwitzes, ehrlich, da schnallen Sie ab!, und wieder!, also das war wegen des Wortwitzes weil im Puff war X noch nie (oder doch, aber ich weiß nichts davon, vielleicht will ich auch nur keines beschreiben, damit man mich nicht autobiographisch hineinliest in die Puffs).

 

aus: Nehmen Sie mich beim Wort. Wien: Sonderzahl 2009, S. 5-8.