Texte aus Publikationen

Leseproben aus den Veröffentlichungen von Peter Clar
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Leseproben aus meinen Veröffentlichungen

9 Farben

 

… die Farbe „ist“

(Yves Klein)

 

Weiß

Weiß, sagt Malewitsch, ist die wahre wirkliche Idee von Unendlichkeit rufst du und stürmst voraus und stolpernd folge ich dir (durch deine Kindheitserinnerungswälder) hinaus auf den See (ein Ich-bin-glüglich von Kinderhand in den Schnee geschrieben) oder den schmalen, geräumten Weg hoch zur Dorfkirche vor der du lachend auf mich wartest und wir treten ein, unruhig flackern drei, vier Kerzen (weiß) und neugierig berühren meine Finger das gefrorene Weihwasser / wie damals / und dann hinaus auf den Friedhof, gefrorener Atem fällt klirrend vor mir in den Schnee und eine Träne (gefrorne Tropfen fallen / von meinen Wangen ab) und du umarmst mich oder legst deinen Kopf an meine Schulter, für eine Sekunde / eine Minute / ein Leben lang, bevor du dich wieder löst. Weißt du, sagst du, im Frühjahr blüht weißer und violetter Flieder im Garten meiner Großeltern und blühen weiße Rosen und rosaweiß, wie Totenschiffchen, schweben Blüten vom Magnolienbaum (und weiße Lilien ins Grab, denke ich) und vom Mittagskogel, kommt immer noch ein kühler Wind, und die Luft riecht gleichzeitig nach Winter und Frühling und du lächelst mich an und läufst los, das Schneefeld hinunter, die Unendlichkeit liegt vor uns, sagt Malewitsch, und ich dir hinterher, schweben wir hinaus.

 
Grau

Grau hat schlechthin keine Aussage, löst weder Gefühle noch Assoziationen aus, ist eigentlich weder sichtbar noch unsichtbar, sagt Gerhard Richter, sagst du und doch, ihre grauen Augen, denke ich und steigt vom Faakersee nebelgrau empor oder hängt in den Bäumen der Muir-Woods oder in den Berkeley-Hills und ich im Café, Bilder der Riots (grau in grau) an den Wänden und Nirvana (my girl, my girl) im Radio oder Leonard Cohen (well  my friends are gone and my hair is grey). Oder senkt sich ein Grau von den Karawanken, an deren Füßen ein Friedhof, auf diesem wir, mit hochgeschlagenen Krägen, die Hände in den Taschen, unseren Atemwolken nachblickend und dann der Abend und Tee und Kuchen bei Oma und Opa. Und halten wir bei der Heimfahrt noch einmal bei den Gräbern, das Licht hunderter Kerzen verschwimmend im Grau, irgendwo bellt ein Hund oder fährt einsam ein Auto vorbei und dann / wieder Stille. Und ich sehe dich an und nicke und du fährst fort, aber weil Grau, genauso wie Gestaltungslosigkeit nur als Idee (aber ihre Augen, denke ich, ihre Augen) wirklich sein kann, könne man nur einen Farbton herstellen, der Grau meint, aber nicht ist und du weinst (oder bilde ich mir das ein, oder male ich mir das aus?).


Rot

Über Nacht kamen die Wolken / und ich habs nicht mal gemerkt / schon sind am ersten Straßenbaum / die ersten Blätter verfärbt, singst du oder singe ich, und wir blicken hinaus, rot der Wald und der Morgenhimmel und der Wein in unseren Gläsern, und rot ist die Materie, schwer und brutal und stets die Farbe, die von den anderen bekämpft werden muss, sagt Franz Marc, sagst du, und Derek Jarman, dass das Rot sich selbst beschütze, dass keine Farbe so territorial wie das Rot sei, und du seufzt, aber die Blätter der Herbstbäume zum Beispiel, die Blumen zum Beispiel, flüsterst du, die Tulpen oder der Mohn (und Gedächtnis)? Und ich sehe dich an oder an dir vorbei und antworte Klatschrosen, antworte, sie schrieb immer Klatschrosen während ich immer Klatschmohn schrieb, sagte sie immer Klatschrosen, wo ich Klatschmohn zu sagen pflegte (wie Worte uns auseinanderdriften) und heute?, fragst du, und wir blicken hinaus oder gehen hinaus, über die abgeernteten Felder, in ihrem Garten eine Laube mit rotem Wein (schwankend an rostigen Gittern) und Rosensträuchern neben dem Stiegenaufgang zu ihrer Türe, dahinter sie. Und wir blicken uns an, es kommt ein Sturm, sagst du und ich nicke, über uns rotes Gewölk (darin ein zürnender Gott), ein kalter Wind wirbelt Laubblätter und Hand in Hand laufend wir, über die Wiese oder die Felder oder durch den roten Wald / über den roten Waldboden. Und schließlich wir im Haus, schwer atmend, draußen die ersten Regentropfen und Donnergrollen und orange und rote Blitze (Israfles Feuer) und wir stumm nebeneinander, dein Kopf an meiner Schulter, mein Arm um deinen Körper und Musik / oder keine / aus dem Radio.


Orange

Goethe, sagst du, verwende das Wort „Orange“ gar nicht, nenne es Gelbrot oder Rotgelb und, fährst du fort / fährst du jetzt fort, so verdeutliche Orange dann auch das Dazwischen, verdeutliche (jetzt dich erinnernd an Worte) die Leerräume zwischen Harmonie und Dissonanz, zwischen Sicherheit und Zerrissenheit, zwischen Ordnung und Chaos, und ich nicke, sei eben somewhere between almost right and not quite (orange eine Silhouette im Sprung).

Und ich lächle dich an und du mich, im Radio Leonard Cohen (and she feeds you tea and oranges that came all the way from China) und blicken hinaus / Kärnten / und orange Tulpen im Garten, die Berge am Horizont in orangenem Licht / oder anders / Kalifornien / Orangen- und Zitronenbäume, Kolibris und Schmetterlinge (jagen tummelnd sich im Kreis) eine orange Sonne versinkt im Meer oder anders, Madrid oder Wien, Sevilla oder Paris oder nicht.

 
Gelb

Es gibt Maler die dank ihrer Kunst und Intelligenz einen gelben Fleck in die Sonne verwandeln sagst du und ich, dass wir als Kinder die Sonne immer in die rechte obere Ecke des Bildes malten, dass wir, mit Bunt- oder Filz- oder Wachsmalstiften, die Sonne immer strahlend gelb (wie Gelb immer ein Licht mit sich führt), in die rechte, obere Ecke unserer Bilder zu malen pflegten, die Sonne goldgelb oder zitronengelb, narzissen- oder dahliengelb (eine gelbe Gladiole ist mein Herz) aber immer in die obere, rechte – warum weiß ich nicht – Ecke malten und du lächelst und nickst. Vor dem Fenster ein Zitronenfalter (sieht man das Gelb bei den Lebenden nur im Flug) und blüht gelb der Goldregen, wie im Garten meiner Großeltern, zu Ostern einige geschnittene und geschmückte Zweige in einer großen Vase im Vorhaus (und 20 oder 25 Jahre später immer auch auf einem Grab) oder tritt aus gelber Wolkenwand ein Mond und fangen Frösche vereinzelt an zu singen, ein Nachtfalter schlägt gegen die Scheibe des Wintergartens oder stürzen verbrennend daumendicke Käfer zu Boden / Palm Springs / und das Schreien der Zikaden und hinter den Palmen gelb und groß der Mond / dahinter die undenkbare Wüste / gelb / ich glaube, dass beispielsweise die Farbe Gelb in sich selbst ausreicht um ein Klima „jenseits des Denkbaren“ zu schaffen (Yves Klein).


Grün

Wenn man Sex doch malen könnte, brauchte man eine Kuh nicht grün zu malen, zitierst du, und ich nicke ohne zu wissen wen und was eigentlich du damit meinst / doch hoffend darauf / aber Kandinsky wiederum sagt, fährst du fort, dass das Grün eben eine Kuh sei, eben wie eine dieser sehr gesunden, unbeweglich liegenden Kühe sei, die nur zum Wiederkäuen fähig mit blöden und stumpfen Augen die Welt betrachteten, und beide müssen wir lachen, vor uns die Frühlingswiese, Gänseblümchen und Löwenzahn (so grün in der Ukraine), dahinter der Wald und über uns ein grüner Himmel darin ein einzelner Vogel oder ein ganzer Schwarm oder nichts / das Nichts oder eine Wolke. Und kommt vom Mittagskogel ein kühler Wind / noch Winter (und bald wieder und bald wieder) / und komm wir gehen sagst du, nimmst mich bei der Hand und ziehst mich hoch und ich folge dir, und doch, sagst du, meine Augen wenden sich nicht mehr der Welt zu / das Grün des Laubs tut ihnen weh, Else Lasker-Schüler, antworte ich, und du nickst und flüsterst das Ewige wohnt in mir und wieder müssen wir lachen auf unserem Weg durch den Wald und doch ist da eine Spur in deiner Stimme (oder doch in meinem Ohr?) und wir verstummen / für einen Augenblick nur / und du erzitterst (weißt du noch, sage ich zu dir, damals in den Holundernächten, den Liliennächten als der Mond in eine Wiege) und jetzt nickst du und wir werden langsamer und blicken einander an. Grün blättert das Auge.

 
Blau

Unentscheidbar, sage ich, ob wir den Anblick des Himmels so und nur so empfinden, weil wir diesen Himmel blau sehen, oder ob wir beim Anblick von Blau nicht vergessen können, dass es beispielsweise der Himmel ist, den wir blau markieren und wir blicken hoch, ein Schwalbenschwarmwirbel über uns und unter uns der Faakersee sommertagsblau und Kinderstimmen aus dem Strandbad, Geruch nach Sonnencreme und Pommesbude und Zeitlosigkeit bis Gewitterwolken am Nachmittagshimmel (führt Blau stets ein Dunkles mit sich).

Führt Blau stets ein Dunkles mit sich, signalisiert Blau immer auch die Verwandtschaft mit dem Dunkel des Nächtlich-Schwarz, ergänzt du, und ihr Haar, denke ich, mit einem Blau wie Rabenfedern und sehe dich an und du mich und fährst fort, man sagt, dass Blau alle Grenzen und Schwellen beseitige, den Körper, der sich mit ihm vereinige, verflüssige, dass durch es die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt fielen und fällt dein Blick auf deine hellen Hände, als wären sie kein Teil von dir, als wärst du eine andere, und lachend (Versuch einer anderen Ebene) sage ich, aber Blau dominiert, regiert, lebt, ist die volle Leere, das Nichts, das alles Mögliche umfasst und umfasse deine Hände und du schweigst  (ain’t these tears in these eyes telling you), Ella Fitzgerald im Radio und Feuer im Kamin und wir, in fremder Sprache (der Himmel aus Asche) und dann ihr Haar (mit einem Schimmer / blau / wie Rabenfedern) auf meiner Schulter und bläulich Adern unter weißer Haut / Durchsichtigkeit / ist es nur eine winzige Kippbewegung, vom Blau-Schwarz des nächtlich nichtigen Himmels zur absoluten Transzendenz, zur schieren Durchsichtigkeit, die nichts als sich selbst zeigt, denke ich (oder erinnere ich mich an Worte?). Und um uns vergehend der Tag, Abenddämmerung und Wind, darin sich fröstelnd blaue Astern neigen, verschwinden Nah und Ferne zu einem Bild, in eine Wand von gleicher Helligkeit, und du seufzt und murmelst, wie zu dir selbst oder: zu dir selbst, nur indem die Welt Traum wird, bewahrheitet sich die Versöhnung, und ich nicke (ob ich aber verstehe?) und blicke hoch (sanft ist die blaue Nacht auf uns’ren Stirnen aufgegangen), Sterne über uns und der Mond, und unter uns der Faakersee und von Ferne Musik oder das Rauschen eines Zugs.


Violett

Der Nachthimmel dieses gestockte Blut, dieses nächtliche Unglück, Waldunglück, von dem man nur noch nicht weiß, Waldzone violett oder schwarz, ich meine die Neigung der Nacht, lese ich laut / lese ich dir vor und verstumme, stumm auch du als hätten wir Angst / oder weil / nur warum wissen wir nicht oder wollen es uns nicht eingestehen, ein Ton von krankem Violett, flüsterst du, und ich schenke dir nach (Versuch die Ebene zu wechseln), vor uns Brot und Käse, Nüsse und Trauben (violett // brachten wir die schönsten Träubchen / Euch mit heim, ihr schönsten Täubchen), dahinter dunkelnd in der Dämmerung der Wald, im Dorf das Bellen eines Hundes oder das Rufen einer Mutter nach ihrem Kind (und nun seid ihr mir entrissen), dann Stille oder, etwas später vielleicht, in dunklen, violetten Tönen das Heulen einer Eule / eines Käuzchens / eines Totenvogels (wild wuchern die Wörter in meinem Kopf).

Und dann der nächste Morgen, violett der Sonnenaufgang, und wir, fröstelnd, auf dem Balkon, Kaffeetassen in unseren Händen (Las violetas de sus grandes ojeras melancólicas / Das Violett ihrer großen, melancholischen Augenringe), erinnerst du dich, frage ich, die Hortensien im Wald hinter dem Haus der Großeltern (ist Gelb in ihnen / Violett und Grau), die Veilchen und die Leberblümchen und du nickst, und im Garten violetter und weißer Flieder, und weiße Lilien, denke ich, der Pfarrer im violetten Gewand.


Schwarz

Nichts ist schwarz – wirklich nichts, sagt Frida Kahlo, sagst Du (aber seine Locken / Dattelpalmenblätter / rabenschwarze, denke ich, oder ihre Haare / schwarz (today she took a train to the west) wie die Bettlaken aus Satin, darauf ihr Körper / hell / Schlaflosigkeit (y paso largas horas oyendo gemir al huracán / o ladrar los perros – und verbringe viele Stunden damit, den Sturm seufzen / oder die Hunde bellen zu hören) und fließt weich der Mond und schließlich die Sonne durch Vorhänge, Schatten werfend auf ihrer Haut, und erwachend ihr Blick aus schwarzen Augen) und um uns herum die Nacht, Kärnten oder Madrid (und verbringe lange Stunden damit, wie der Sturm zu seufzen / wie ein wütender Hund zu bellen), Paris oder Joshua Tree, ein dunkler Mond über uns und um uns Wüste, oder wir auf einer Wiese, in Decken gehüllt, und unter uns der See und Sterne über uns und irgendwo bellt ein Hund und hört man vereinzelt Autos und ich spreche, meinen Kopf in Deinem Schoß, das Schwarz (meine Augen geschlossen) ist wie eine Abkühlung des Relativen auf den Nullpunkt (und weiß nicht, was soll es bedeuten / Traurigkeit). In dieser ambivalenten Deutung von Ruhe und Aktivität liegt das Prinzip Schwarz, wie ein großer Atem, fahre ich fort und verstumme und höre den deinen, gleichmäßig und deinen Herzschlag (oder bilde ich mit das ein) / von meinen Lidern tropft schwarzer Schnee flüsterst du, woher aber weiß ich, ob du dabei lächelst oder weinst?

 

 

 

aus: Die Worte, sagst Du… Klagenfurt: Sisyphus 2018, S. 10-20.

Dresden, Dienstag 10. Oktober

 

Goldener könnte ein Oktober kaum sein

Blau die Elbe im Herbstsonnenschein

Wie gereimt, ich meine gemalt

Kinder lassen Drachen steigen

Eine Graugänsegruppe im unsymmetrischen V

Ein Ausflugsschiff schiebt sich gegen den Strom

Dahinter Pferde, weidend am anderen Ufer

Dahinter Villen im blättrigen Bunt

One more time with feeling aus Kopfhörern

One more time laufen mit Nick Cave

Wie in Valencia, Danzig, Lissabon

Wie schnell die Zeit vergeht

 

aus: Herbstsommer. Villach: SchriftStella 2019, S. 22.

Miroslav Klose

Toni Kroos                            Mario Götze                         Thomas Müller

                                   Mats Hummels                     Sebastian Schweinsteiger

            Marcel Schmelzer    Holger Badstuber     Per Mertesacker       Philipp Lahm

Manuel Neuer
[Tim Wiese]

 

Foul oder Schwalbe 1

Das Schwein!, steiger ich mich hinein als der Spieler abhebt, als der orange oder weiß oder rot gekleidete Spieler abhebt, das rechte Bein abgewinkelt und nach vorne geschoben, das linke Bein fast durchgestreckt und beide Arme nach vorne geworfen und ein Schrei hallt und ein Mensch fällt und prallt auf und ertönt erst ein, dann aber 10000e Pfiffe, ertönt erst ein, dann aber 10000e Pfiffe und Buhrufe und ein Mensch am Boden, mit beiden Händen den Knöchel des rechten Fußes umklammernd, dabei war es doch der linke der getroffen wurde, der getroffen zu worden vorgegeben wurde, und rappelt sich hoch und humpelt vom Platz auf dem bekanntlich die Wahrheit liegt und er lag und der Ball nun auf dem Elfmeterpunkt.

 

Foul oder Schwalbe 2

Was ein Müll, er hebt einfach ab, hebt doch der, steigere ich mich hinein, orange oder weiß oder rot gekleidete Spieler einfach ab, das rechte Bein abgewinkelt und nach vorne geschoben, das linke Bein fast durchgestreckt und beide Arme nach vorne geworfen und ein Schrei hallt und ein Mensch fällt und prallt auf und ertönt erst ein, dann aber 10000e Pfiffe, ertönt erst ein, dann aber 10000e Pfiffe und Buhrufe und ein Mensch am Boden, mit beiden Händen den Knöchel des rechten Fußes umklammernd, dabei war es doch der linke der getroffen wurde, der tatsächlich getroffen wurde, und rappelt sich hoch und humpelt vom Platz auf dem bekanntlich die Wahrheit liegt und er lag und der Ball nun auf dem Elfmeterpunkt.

 

Die Angst des Schützen vorm Elfmeter

Ein neuer Tag, ein neues Glück denkt er sich und ich mir, dass er neuerlich wohl keinen Elfmeter verschießen, dass er nicht schon wieder in einem derart wichtigen Spiel einen Elfmeter vergeben werde und lehne mich in meinem Fernsehsessel nach vorne, entscheide mich um und lehne mich wieder zurück, das rechte Bein am Boden, das linke Bein hochgezogen und auf die Sitzfläche gestellt und mein Gesicht darauf gebettet und seines in Großaufnahme, zuckend die Backenknochen, zusammengekniffen die Augen, ein Blick zum Torhüter (spiel mir das Lied vom Tod) und vier Schritte rückwärts und einer links zur Seite und Schwenk, der Torhüter (gelb oder grün oder hellblau) mit ausgebreiteten Armen, ich bringe euch das Heil der Welt, auf der Linie hin und her springend oder scheinbar stoisch, mit angelegten Armen den Gegner fixierend, links oder rechts? und ein Pfiff, ein Trippeln, zwei, drei, vier Schritte und Schuss…

 

Von Hummeln und anderen Fußballern

Es hängt doch immer alles irgendwie zusammen, sage ich, und Du nickst, und am besten sieht man das doch beim Fußball, dieser kleinen Welt, in der die große ihre Probe hält, und Du nickst immer noch. Nehmen wir Mats Hummels als Beispiel, fahre ich, nach einem weiteren Schluck Bier, fort, der spielt für Borussia Dortmund, deren Maskottchen eine, erraten!, Hummel ist, und ich sage dir, das ist kein Zufall, denn Mats Hummels Bruder, Jonas Hummel, spielt für die Spielvereinigung Unterhaching in der dritten Liga und dort unter anderen gegen die einzigen zwei Vereine im deutschen Herrenprofifußball, die vom dänischen Ausrüster Hummel mit Trikots ausgestattet werden, Oberhausen und Burghausen, die, auch das wohl kein Zufall, dann auch noch sehr ähnliche Namen haben… Wusstest Du das?, frage ich und Du schüttelst den Kopf und ich fahre fort, und vermutlich auch nicht, dass Roberto Saviano über Messi geschrieben hat, dass dieser wie die Hummel sei, die auf Grund ihres Körperbaus gar nicht fliegen können dürfe, es aber doch tue, dass Robert Saviano über jenen Messi, der als Coverstar des Fußballcomputerspiels FIFA 2013 gehandelt wird auf dessen deutschsprachiger 2012er Version noch Mats Hummels zu sehen war, geschrieben hat, dass er mit seinen Körperbau im muskelstrotzenden modernen Fußball gar nicht spielen können solle, darauf Du, aber Fakt ist, dass das Hummel-Paradoxon, dass sich in populärer Literatur halte und besage, dass eine Hummel nach den Gesetzen der Aerodynamik nicht fliegen könne, eine Legende sei, dass die Aerodynamik eines Flugzeuges und die einer Hummel sich nicht nur in der Bewegung der Flügel unterschieden, sondern auch aufgrund anderer Größen- und Geschwindigkeitsverhältnisse und damit anderer Reynoldszahlen, dass eine Hummel, wie man 1996 auch experimentell nachweisen konnte, durch den Flügelschlag Wirbel erzeugte, die ihr den nötigen Auftrieb verschafften um fliegen zu können, darauf ich: Scheiß Wikipedia.

 

Trialog

Ich: Wir könnten uns das Spiel doch beim Public Viewing ansehen, z.B. auf der Schmelz. Er: Für einen Wortwitz machst du doch alles. Autor: Public Viewing bezeichnet im amerikanischen Sprachgebrauch die öffentliche Aufbahrung eines/einer Toten.

 

Konter

Man sollte meinen, man könne auf diesem Rasen, dieser Wiese, diesem Mertesacker kaum einen geraden Pass spielen, man müsse jeden, der auf diesen Platz von Strafraum zu Strafraum geht und sich dabei nicht den Knöchel bricht einen ausgeben und dann das, dann diese Aktion, dann nimmt er sich den Ball mit der Brust mit, legt sich den Ball mit der Brust vor, überspielt mit einem Haken nach links den ersten Gegenspieler, zieht zur Mitte, überläuft einen weiteren, täuscht rechts an, nur, um mit dem linken Außenrist den Ball in den Lauf seines Mitspielers zu passen, der aus vollen Lauf den Ball mit ebenso vollen Spann ins rechte Kreuzeck schießt, was heißt, hämmert, donnert, das ist Wahnsinn, das ist atemberaubend, das ist ganz, ganz kroos Toni, sage ich, und Toni nickt und wir stoßen an und ergötzen uns an der Wiederholung, ganz, ganz kroos, murmelt nun Toni, und ich nicke und dann: Stille…

 

Goethe und Badstuber

Ich müsste eigentlich noch, sage ich, einen Text schreiben, also eigentlicher nur mehr einen Teil eines größeren Ganzen, einen Textteil sozusagen, sagen wir, ein Elftel Text, also eigentlich gar nicht viel aber doch, denn schrieb schon Goethe, dass er keine Zeit gehabt hätte, um sich kurz zu fassen und dabei hatte der doch nicht mal einen Fernseher, geschweige denn gab es damals eine Fußballeuropameisterschaft, hatte also für Goethe Sturm und Drang rein gar nichts mit der Schlussoffensive einer Mannschaft zu tun, dachte er wohl auch keine Minute daran, einen Ball im Strafraum wegzufausten, und wenn einer verschoss, dann war es Werther, der das Kunststück zu Wege brachte seinen eigenen Kopf nicht voll zu treffen, Kommentar überflüssig, am Schluss aber zählt das Resultat und das stimmte dann ja doch, da fragt in 10 Jahren keiner mehr, wie der Selbstmord zustande kam, und war ihm Herder allemal näher als Werder (aber auch letzteres hat mit der EM nur am Rande zu tun), kurz, hatte er ohnehin nichts zu tun und trotzdem keine Zeit und wie also solle, sagte ich, ich dann die Zeit finden einen Text zu schreiben, einen Textteil zu schreiben, ein Elftel Text zu schreiben, wo doch jeden Tag ein Spiel, zumeist sogar zwei, und jedem Spiel eine Vorberichterstattung voran und eine Nachberichterstattung hintan gestellt ist und jetzt gehe ich anstatt einen Text zu schreiben in meinem Kopf die möglichen Varianten der Aufstellung der holländischen Nationalmannschaft durch, sozusagen Elftal anstatt Elftel, bevor diese 2:1 gegen Portugal verlieren wird, wobei Ronaldo beide Tore, eines in der 28. und eines in der 74. Minute,  erzielen wird, tippe ich nun mal so vor mich hin, dabei sollte ich doch einen Text schreiben, sollte mir was originelles zu einem der deutschen Spieler einfallen lassen, etwas wortwitziges und sprachgewaltiges, sage ich, und dabei hätte ich soviel anders zu tun, aber egal, schön, dass du da bist, der Fernseher läuft, Bier ist kalt, die Wohnungsführung bekommst du später, nur zur Orientierung, hier links ist das Wohnzimmer, gerade aus wären dann Bad, Stube, Rumpelkammer und Speis. Daraufhin du, für einen Wortwitz machst du wohl alles…

 

Apostelgeschichte 3,1-10

Und es wurde ein Mann herbeigebracht, der Lahm war von Mutterleib an, den man täglich an die Pforte des Tempels, welche man „die Schöne“ nennt, hinsetzte, damit er von denen, die in den Tempel hineingingen, ein Almosen erbitte. Als dieser Petrus und Johannes sah, die in den Tempel hineingehen wollten, bat er sie um ein Almosen. Petrus aber samt Johannes blickte ihn an und Petrus sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth, stehe auf und wandle! Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Und alsbald wurden seine Füße und seine Knöchel fest, und er sprang auf und konnte stehen, mehr noch, konnte gehen, laufen, sprinten und Haken schlagen. Und wahrlich, ich sage Euch, Ballannahme, ein Haken nach rechts, die Kugel vorgelegt und mit Auge in den Winkel geschlenzt. Und Gegner und Fans erkannten, dass er der war, der um des Almosens willen an der „schönen“ Pforte des Tempels gesessen hatte; und sie wurden mit Verwunderung und Erstaunen erfüllt über dem, was ihm widerfahren war.

 

Sprichwort und Metapher

Lieber ein Kloß im Hals, als Klose im Strafraum dachte sich der Verteidiger, bevor er die Sense auspackte.

 

Wien, Juni 2012

Blitzen Erinnerungen auf und stürzen Lebenswelten ein, schon zitiert, bitte!, danke, Diotavelli der ich bin, Gott Vater, Gott Sohn, Gott Heiliger Geist. Geistlos, nein, geschichtslos, geschichtelos fügen sich meine Worte, unsere Worte, die am Anfang waren oder das, was auch immer, füge leere Zeichen, bedeutungsleere Zeichen zu Bedeutungslosigkeiten, jetzt bin ich wieder dort wo ich hin wollte, wo mich die Worte hinzwingen, dabei wollte ich sie doch zu einer Geschichte zwingen, zwanghaft in Reihen ordnen um etwas zu erzählen, um etwas auszudrücken, mitzuteilen, teilhaftig, leibhaftig euch werden zu lassen am Schicksal des X oder der Y oder der X oder der Y oder was oder wen oder wie auch immer.

Doch was interessiert mich das Geschwätz von heute, von Leuten, meine ich, was interessiert mich, ob X verliebt und Y verlobt und Z verheiratet und Zunge zeigen tut man nicht, denn es neckt sich was sich liebt, das ist eine zehn-, eine hundert-, eine tausendfach bewiesene, erwiesene, ausgewiesene Wald- und Wiesenwahrheit, Wiesengrund, Grundübereinstimmung, Volksweisheit, meine ich, denn das Maul spricht und die Politiker hauen, nein, schauen drauf und erst recht die Priester und Diakone und all jene die im Dienste der Kirche, also da kann ja nichts Gescheites dabei rauskommen, bei diesem, na, nennen wir ihn, sagen wir einmal: Text.

 

Also da liebt X die Y, und er geht durch die Straßen, regennass und traurig, an der Ecke steht ein Bettler, sitzend auf seinen Stock gelehnt, die Hand ausgestreckt zur Kommunion, sein täglich Brot gib uns heute, Betteln und Hausieren verboten, denkt dazu ihre soziale Heimatpartei, -partie, drei Bier! her, und ihre Wiener Linien. Schweife ich schon wieder ab, ich will doch nur spielen, ich meine, erzählen, eine Geschichte, eine traurige Geschichte, ein wahrer Musterknabe war der Eberhard, von Schwiegermutterart, aber er liebte, also ich mache es kürzer, als ihr Euch vorstellen könnt, und stelle ihn vor, aber nicht jetzt.

 

Weiter im Text, also in der Geschichte, da haben wir also X und der liebt Y, also das ist schon ironisch, dass X ein Mann und Y eine Frau, wo doch das Y mit dem X erst ein Mann, das reine X aber eine Frau und dreimal das X die Bestimmung derselben, aber es ist nun mal so: Mann und Frau, Weiß und Schwarz, Gut und Böse, Gott und Teufel, das Bessere kommt immer zuerst, deshalb heißt ja der Beste auch Erster, weil er als Erster ins Ziel kommt und der Zweite ist im Grunde der erste Verlierer und die Erste auch, also darum X und Y oder Geld oder Leben.

 

Lebenswelten stürzen ein für X, als er erfährt, dass Y nicht so will, wie er gerne wollte, also weil sie nicht so verliebt ist, wie sie sein sollte, wenn sie gescheit wäre, gescheiterte Existenz die er hätte retten können, aber sie will sich nicht helfen und schon gar nicht ficken lassen, also dann schon lieber ficken, finden Sie nicht auch? Nein, das wollte ich jetzt nicht, nicht schreiben, meine ich, ficken schon, aber egal, also ich wollte X jetzt nicht so runter machen, ich kenne ihn ja gar nicht richtig, auch wenn Sie das vielleicht annehmen, ich kenne ihn nicht, weil er nicht interessiert, weil er mich nicht interessiert, auch wenn er mein Geschöpf sein soll, aber vom Schöpfungsakt erschöpft suche ich Atem zu schöpfen und lasse mich da nicht auf mein Wesen reduzieren, kann mich nicht auf mein Wesen konzentrieren, wo ich doch nicht einmal mich auf mein Wesen zu konzentrieren in der Lage bin, das würden Sie mittlerweile doch wissen, kümmerten Sie sich um mich, aber das tun Sie ja nicht. Bin ich denn unter Ihrer Würde?

 

Jetzt sitze ich also vor meinem Block, Blöcken, und soll jemandes Geschichte schreiben, den ich gar nicht kenne, nicht kennen will und nie kennenlernen wollte, der sich mir aufdrängt, in mein Schreiben sich hineindrängt, weil ja alle Geschichten hören wollen, weil ja alle Schicksale erleben wollen, weil ja alle das Leben toben lesen wollen, als gäbe es nichts Interessanteres als dem Verlierer und Menschen X zuzusehen, wie er die verregnete Straße traurig hinabgeht, oder die verregnete, traurige Straße hinabgeht oder wie auch immer, nur schlimmer.

 

X also spaziert die Hütteldorferstraße entlang, es ist, sagen wir mal, so zwölf Uhr, es hat geregnet in der Nacht und auch noch ein bisschen in der Früh und alles ist nass, aber es ist zu kühl, als dass sich einer dieser Sommerregengerüche entwickeln könnte, also Sommer ist es, da haben wirs!, schon wieder eine Information, natürlich könnte es auch Frühling oder Herbst sein, die Hütteldorferstraße entlang spazierend, kommt er am Solarium vorbei, an der Pornovideothek, der Bücherei, an Kleinglücksspiellokalen, einem Hotel, einem Kleidergeschäft (aber das wird aufgelassen, suchen Sie es also nicht!), einem Lebensmittelgeschäft, einem Fahrzeugzubehörgeschäft, an dem ersten Puff, schöne, große, schlanke Mädchen stehen in der Nacht immer davor, die hässlicheren, dicken und billigeren folgen dann stadtauswärts, aber X geht stadteinwärts, also Richtung Gürtel, den er enger wird schnallen müssen, will er sich eines jener schönen Mädchen leisten, also das war jetzt wirklich nur wegen des Wortwitzes, ehrlich, da schnallen Sie ab!, und wieder!, also das war wegen des Wortwitzes weil im Puff war X noch nie (oder doch, aber ich weiß nichts davon, vielleicht will ich auch nur keines beschreiben, damit man mich nicht autobiographisch hineinliest in die Puffs).

 

 

aus: Nehmen Sie mich beim Wort. Wien: Sonderzahl 2009, S. 5-8.